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Interview mit der über 60-jährigen Backpackerin Gitti Müller

Sich als Rentnerin in Luxushotels verwöhnen lassen und die Füße hochlegen? Gitti ist anders. Sie reist mit Rucksack quer durch die Welt und möchte ihren Horizont erweitern.

Aber wie ist das, wenn du mit 58 in ein Hostel gehst? Was geht auf Rucksack-Reisen schief? Lies mein Interview mit der über 60-jährigen Backpackerin Gitti Müller.

Elischeba: Im Jahr 1980 bist du das erste Mal als Backpackerin in die Welt gezogen. Mit einem One-Way-Ticket. Was war das für ein Gefühl?

Gitti: Das war ein großartiges Gefühl, eines, das bis heute lebendig in mir schlummert und jedes Mal aufwacht wenn ich an einem Flughafen bin.

Es war ein Gefühl von absoluter Freiheit, ein Prickeln im Bauch und eine leise Ahnung, dass die Welt groß, das Leben wunderbar und voller Möglichkeiten ist. Ich fühlte mich total unverwundbar und voller Freude.

Backpacker ueber 60

Copyright Gitti Müller – Fotografin: Ingrid Blessing

Elischeba: Das glaub ich. Wie hast du dich auf die Reise ohne Internet vorbereitet?

Gitta: Ich hatte nur das SouthAmericanHandbook. Das war damals der einzige Backpacker-Reiseführer, dick wie eine Bibel auf dünnem Pergamentpapier geschrieben.

Leider hat man mir den beim Grenzübergang zu Bolivien abgenommen. Begründung der Grenzer: das Papier sei so dünn, da könne man Joints mit drehen.

Elischeba: Au Weia! Wie krass. Was ging vor Ort sonst noch schief?

Gitta: Es ging vieles schief: du wusstest ja nie wo, wann und ob du ankommen würdest. Manchmal bin ich in einem Dorf gestrandet, wo es keine Unterkunft gab.

Dann hieß es improvisieren, bei Einheimischen übernachten und dir den Kopf zerbrechen, ob jetzt das Gewehr an der Wand harmlos ist oder ob du zufällig bei Guerilleros gelandet bist.

Auf diese Weise habe ich nicht nur schräge, sondern auch äußerst liebenswerte Menschen kennengelernt und viel über die Lebensbedingungen der Einheimischen, speziell der Indianer erfahren.

1980_Backpacker

Copyright: Gitti Müller

Elischeba: Puh, das ist mutig. Ich liebe Indianer. Nun bist du über 60 Jahre alt und hast von deiner Abenteuerlust nichts verloren. Wie war es, mit 58 Jahre das erste Mal in einem Hostel zu übernachten?

Gitti: Das war verglichen mit damals natürlich organisatorisch ein Kinderspiel. App aufmachen, Hostel wählen, buchen, fertig.

Aber in dem Moment, wo ich mit meinem Rucksack die Schwelle übertreten habe, wurde mir mulmig. Schliesslich begegnest du in einem Hostel eher Leuten, die so alt wie mein Kind sind, also eine völlig andere Generation.

Ich hatte keine Ahnung wie die das aufnehmen, so eine Rucksack-Omi im Hostel. Aber das war total unbegründet. Die waren alle total nett und machten überhaupt kein Ding daraus, dass ich doppelt so alt bin. Ich war oft bei gemeinsamen Kochrunden in der Küche, wurde sogar abends gefragt, ob ich Lust habe mit tanzen zu gehen. Also alles easy.

Gitta Mueller Hostel

Copyright: Gitti Müller

Elischeba: Wie cool! Was hast du beim Reisen über dich selbst gelernt?

Gitti: Wenn ich meine Vorurteile ausschalte, ist das Leben so viel schöner und leichter. Einfach alles auf mich zukommen lassen, Vielfalt und Anderssein akzeptieren und neugierig bleiben.

Das sind meine Rezepte für inspirierende Begegnungen mit anderen und mit mir selbst. Ich lerne mich auf Reisen immer wieder neu kennen. Das ist toll. Ängste gehören auch manchmal dazu, aber sich den Ängsten zu stellen macht einfach unglaublich stark und selbstbewußt.

Elischeba: Toll! Im Mai 2017 ist dein Buch „Comeback mit Backpack“ erschienen. Worum geht es genau?

Gitti: Es geht um meine Reisen in analogen und in digitalen Zeiten. Ich erzähle von meinen Backpacker Touren in den Achtziger Jahren und von den vielen Reisen, die ich in den Folgejahren nach Südamerika unternommen habe. Was habe ich erlebt, wie hat sich das Reisen verändert, wie haben sich die Länder verändert und wie hat das Reisen mich selbst verändert.

Perspektivwechsel ist auch ein Thema. Zum Beispiel habe ich ziemlich dumm aus der Wäsche geguckt, als mein inzwischen erwachsener Sohn sich auf die Reise nach Mexico und Kolumbien gemacht hat.

Da war dann Schluß mit Coolness. Und zum ersten Mal habe ich mich gefragt: wie haben meine Eltern das eigentlich damals ausgehalten, ohne Internet, ein Jahr lang nicht zu wissen, wo ich bin und wie es mir geht.

In meinen Lesungen sind witzigerweise immer ganz junge Leute, die auf die Erlebnisse der 1980ger stehen und das Buch für ihre Eltern kaufen. Oder eben ältere, wie ich, die auch mal gerne so was machen möchten, oder die das Buch ihren Kindern und Enkeln schenken.

Mutter und Sohn Backpacker

Copyright: Gitti Müller

Elischeba: Klasse. Viele Menschen wünschen sich auf Reisen in erster Linie Erholung und möchten sich vor Ort um nichts kümmern. Wie können Pauschaltouristen auf Reisen trotzdem über den Tellerrand schauen?

Gitti: Ich glaube es ist eine Sache der Haltung. Wenn du wirklich offen bist, kannst du auch als Pauschaltourist Dinge erleben.

Wichtig wäre dann, dass du nicht irgendwo im Nirgendwo in einer Hotelanlage wohnst, sondern in der Nähe eines Ortes oder mit Anbindung öffentlicher Verkehrsmittel.

Dann kannst du auch mal raus aus deiner Erholungsblase und lässt dich treiben, setzt dich in ein Straßencafe, quatscht Einheimische an oder machst andere nicht organisierte Ausflüge.

Copyright: Gitta Müller

Elischeba: Das sind gute Tipps. Stell dir vor, jemand liest dein Buch und bekommt Lust auf eine Backpacker Reise. Er traut sich aber noch nicht. Was empfiehlst du? Wie und wo kann man „klein“ anfangen?

Gitti: Am besten suchst du dir erst mal ein Land aus, wo die Menschen freundlich und friedlich sind und wo du dich (auf Englisch oder einer anderen Sprache) verständigen kannst.

Thailand ist so ein Land: ausgesprochen unkompliziert mit einer guten Infrastruktur und hilfsbereiten Menschen. In Südamerika ist Uruguay ein gutes Einsteigerland.

Du kannst es aber auch ruhig erst mal in Deutschland ausprobieren. Vielleicht mal ein Inselhopping in der Nordsee machen oder eine Städtereise. Probier mal ein Hostel aus und schau wie unkompliziert das alles ist.

Wenn du Angst hast allein zu reisen, empfehle ich zu Beginn deiner Reise eine Aktivität zu buchen, zum Beispiel einen Sprachkurs, einen Tanzkurs oder ein Yogaretreat. Da lernst du auf ganz ungezwungene und natürliche Weise viele Leute kennen, hast gemeinsame Aktivitäten und kannst dich in Ruhe akklimatisieren. Vielleicht triffst du sogar jemanden, der eine Weile mit dir zusammen weiter reist.

Gitti Mueller Rucksack Tourist

Copyright Gitti Müller – Fotografin: Ingrid Blessing

Elischeba: Klingt gut. Ganz lieben Dank fürs Interview und weiterhin viel Spaß bei deinen Reisen. Bleib so cool. 😉

Du möchtest mehr von Gitti erfahren? Hier gelangst du zu ihrer Website.

Liebe Grüße von Elischeba
 
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6 Kommentare zu Interview mit der über 60-jährigen Backpackerin Gitti Müller

  1. Coole Frau. 😉 Ich würde mich das nicht trauen so alleine.

  2. Wie toll – da bekomme ich richtig Fernweh 🙂

  3. Hab ich auch mal gemacht, als Studentin, ist wirklich klasse.

  4. Wahnsinn. So viel Energie! Und das Alter sieht man ihr mit keinem bisschen an!

    „thehappyjetlagger.com“

  5. Was für eine hammer Frau! Und da sieht man es mal wieder: Alter ist nur eine Zahl. Und weil sie ständig auf Reisen ist, wird sie auch deswegen so glücklich sein, dass man ihr die 60 nie im Leben zugetraut hätte. Liebe Grüße, Sarina

    „yolo-reisen.de“

  6. Das gibt grad wieder Fernweh! Auch ich war 1985-86 in Bolivien und einigen Nachbarländen mit dem Southamerican-handbook unterwegs. Mir wurde es zum Glück nicht abgenommen, denn da waren so viele Insidertipps drin, die ich gut gebrauchen konnte. Wenn ich gesund bleibe bis zur Pensionierung, möchte ich unbedingt nochmals nach Südamerika meine „alten“ Freunde suchen.

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